Kapitalanlage | Ein Gastbeitrag von Dr. Hans-Jörg Naumer | 28. September 2022
Zeitenwende überall. Geopolitisch strukturiert sich die Welt neu. Die „Deglobalisierung“ nimmt Gestalt an. Demografisch wächst die Welt zwar weiter, wird dabei aber älter und die Zuwachsraten nehmen ab. Die Babyboomer verabschieden sich in die Rente. Bereits seit 2013 scheiden in den Industriestaaten mehr Menschen aus dem Arbeitsleben aus, als neue hinzutreten. Plötzlich werden Arbeitskräfte knapp, woran nicht zuletzt die jüngsten Arbeitsmarktdaten aus den USA erinnern.
Die Inflation – ein lange für tot geglaubtes Gespenst – meldet sich mit lautem Gepolter zurück und zwingt die Zentralbanken der Welt zum Handeln. Ob diese das in Anbetracht der sich abschwächenden Konjunkturdaten wollen oder nicht. Daran hat nicht zuletzt das Treffen der Zentralbanken in Jackson Hole erinnert. Von Seiten der US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) aber auch der Europäischen Zentralbank (EZB) kamen geradezu erstaunlich klare Worte, dass die Inflationsbekämpfung Vorrang sogar vor Wachstumsfragen hat.
Die historisch einmalige Phase negativer (Nominal-)Zinsen kam zu einem abrupten Ende. Dafür sehen sich die Anleger nach Abzug der Inflation jetzt mit tiefroter Realrendite konfrontiert. Und während die aktuellen Konjunkturdaten immer argwöhnischer auf rezessive Tendenzen, ja sogar auf Stagflation abgeklopft werden, entfaltet sich die neue, langfristige Wachstumswelle hin zur klimaneutralen Ökonomie. Eine Zeitenwende.
Die Verlierer und Gewinner des Dekarbonisierungstrends sortieren sich bereits jetzt. Für die Umstellung auf die treibhausgasneutrale Weltwirtschaft sind der Krieg gegen die Ukraine und die damit verbundenen Lieferengpässe bei Gas geradezu ein Katalysator. Ein Katalysator auch für die Deglobalisierung. Wurde diese schon von der Digitalisierung (welche Roboterarbeitsplätze im Inland gegenüber Arbeitsplätzen in Übersee preiswerter werden lässt) und der Brüchigkeit der Lieferketten beschleunigt, so kommen die geopolitischen Spannungen jetzt noch dazu.
In der Summe zeigt sich: Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben. Auch das eine Zeitenwende.
Bei niedrigen Nominal- und tiefroten Realrenditen ist es für die Kapitalanlage keine leichte Aufgabe zumindest die Kaufkraft des Vermögens zu verteidigen. Ohne risikoreichere Anlageformen wie Aktien wird es nicht gehen. Diese haben sich in der Vergangenheit gegenüber der Inflation gut geschlagen. Zu mehr Rendite gehört aber immer auch mehr Risiko. Und die Risiken haben nicht abgenommen: Die Konjunktur bewegt sich auf abschüssigen Pfaden, die Zentralbanken kämpfen gegen die Inflation und dürften, von Ausnahmen wie China abgesehen, die Zinsen weiter anheben. Und natürlich immer wieder die Geopolitik.
Dies ist eine gute Zeit, die mittel-/längerfristige Zusammensetzung der Kapitalanlage zu überdenken und auf die Segmente zu setzen, die von der Zeitenwende profitieren. Bange machen gilt nicht. Profitieren Sie von der Zeitenwende.
Dr. Hans-Jörg Naumer
Director Global
Markets & Thematic Reseach bei Allianz Global Investors