Gesetzesreform | 16. Januar 2023
Zum 1. Januar 2023 tritt eine Neuregelung des Betreuungs- und Vormundschaftsrechts in Deutschland in Kraft. Ziel der Gesetzesreform ist vor allem die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und der Autonomie von unterstützungsbedürftigen Menschen.
Wer auf Betreuung angewiesen ist, muss sich auf andere verlassen können. Je nach Betreuungsgrad variiert das Ausmaß, in dem Betroffene ihre Selbständigkeit aufgeben und anderen vertrauen müssen. Betreuungsleistungen reichen von gelegentlichen ambulanten Hilfen wie der Unterstützung beim Einkauf über die tägliche Pflegeleistungen beim Waschen und Anziehen oder Hilfe beim Erledigung von Papierkram bis hin zur Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf einen gesetzlichen Vormund. Im Extremfall liegen also lebensbestimmende Entscheidungen wie medizinische Maßnahmen, das eigene Wohnen oder auch die Finanzangelegenheiten in den Händen eines anderen Menschen.
Umso wichtiger sind klare Vorgaben, die das Betreuungsverhältnis regeln und einen Missbrauch von Betreuungsbefugnissen verhindern. Der Gesetzgeber hat deshalb mit Wirkung ab 1. Januar 2023 das Betreuungs- und Vormundschaftsrecht grundlegend erneuert.
Wesentliches Ziel der Gesetzesreform ist die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und der Autonomie von rund 1,3 Millionen unterstützungsbedürftigen Menschen in Deutschland. Ein Großteil der wichtigsten Änderungen betrifft das Betreuungsrecht.
Konkret bedeutet die Reform für das Betreuungsrecht: strengere Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung, stärkere Orientierung am Bedarf und den Wünschen der Betreuten, mehr Transparenz und eine strengere Aufsicht über die Betreuertätigkeit. Hier eine Übersicht:
Grundsatz der Erforderlichkeit einer Betreuungsanordnung: eine Betreuung darf nur angeordnet werden, wenn sämtliche, einer Betreuungsanordnung vorgelagerten sozialrechtlichen Hilfen nicht mehr aussichtsreich sind, um den Betroffenen ausreichend zu versorgen. Gegen seinen Willen darf einem volljährigen Menschen keine Betreuung zugewiesen werden.
Der konkrete Unterstützungsbedarf und die Wünsche des Betreuten sind für das Betreuerhandeln maßgeblich, nicht die medizinische Feststellung von Defiziten der betreffenden Person. Der Betroffene entscheidet mit, ob und in welcher Form eine Betreuung in Anspruch genommen werden soll und wer ihn betreuen darf.
Bestimmte Transparenzpflichten des Betreuers sollen darüber hinaus dem Missbrauch von Betreuerbefugnissen vorbeugen. Das betrifft unter anderem den Bereich der Vermögenssorge, der nun für eine bessere Übersichtlichkeit nicht mehr im Vormundschaftsrecht, sondern im Betreuungsrecht geregelt ist. Ein Beispiel: Damit das Betreuungsgericht die Vermögenssorge durch den Betreuer überwachen kann, erstellt der Betreuer ein sogenanntes Vermögensverzeichnis – also eine Übersicht sämtlicher Vermögen seines Betreuten. Ab Januar muss der Betreuer dieses Verzeichnis dem Betreuten immer in Kopie zur Verfügung stellen. Um (bewusste oder versehentliche) Fehler bei der Erstellung des Vermögensverzeichnisses auszuschließen, ist auch die Hinzuziehung eines offiziellen Zeugen möglich. Generell gilt für Entscheidungen, die das Vermögen und andere lebensrelevante Bereiche betreffen, eine Kontakt- und Besprechungspflicht. So soll der Betreute im Rahmen seiner Fähigkeiten weiterhin über die Aktivitäten seines Betreuers im Bilde bleiben und Entscheidungen selbst treffen. Es gilt zudem – sofern der Betreute selbst mit bestimmten Angelegenheiten nicht mehr betraut werden kann – eine Auskunftspflicht des Betreuers gegenüber nahestehenden Angehörigen und Vertrauenspersonen.
Zusätzlich wird die gerichtliche Kontrolle über die Betreueraktivitäten ausgebaut. Auf diese Weise sollen zum einen von vorneherein strengere Kriterien bei der Betreuerwahl gelten. Ein neues Betreuerregister mit dazugehörigem neuen Registrierungsverfahren legt persönliche und fachliche Mindesteignungsvoraussetzungen für Berufsbetreuer fest. Zum anderen sollen Pflichtwidrigkeiten des Betreuers, die das Selbstbestimmungsrecht des Betreuten beeinträchtigen, besser erkannt und gegebenenfalls auch sanktioniert werden können.
Ein neues Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG) fasst sämtliche öffentlich-rechtlich geprägten Vorschriften zu Betreuungsbehörden, Betreuungsvereinen sowie ehrenamtlichen und beruflichen Betreuer in einem Text zusammen. Es regelt die Zuständigkeit der Betreuungsbehörden und verpflichtet diese zur Ausschöpfung von Beratungs- und Unterstützungsangeboten, um die Anordnung einer Betreuung nach Möglichkeit zu vermeiden.
Auch im neuen Vormundschaftsrecht steht die Selbstbestimmung der Mündel im Vordergrund. So soll unter anderem das Recht des Kindes gegenüber dem Recht der leiblichen Eltern gestärkt und Pflegeeltern unter bestimmten Voraussetzungen eher die Vormundschaft eingeräumt werden. Das Vormundschaftssystem wird zudem vereinfacht, indem im Wesentlichen nur noch zwischen beruflichen und ehrenamtlichen Vormündern unterschieden wird. Letztere sollen wenn möglich vorrangig bestellt werden. Die Vermögenssorge, die bisher eine wichtige Rolle im Vormundschaftsrechts spielte, wird nun im Betreuungsrecht geregelt.
Eine weitere wichtige Neuerung ist die Ausweitung der Vertretungsmöglichkeiten des eigenen Ehegattens in Notsituationen. Nach dem neuen Gesetz darf der Ehegatte für den Partner im Falle der Bewusstlosigkeit oder anderer Form der Entscheidungsunfähigkeit medizinisch relevante Entscheidungen treffen. Das Vertretungsrecht ist auf einen Zeitraum von maximal sechs Monaten begrenzt. Nach bisherigem Recht war diese Form der Vertretung nur nach vorausgegangener ausdrücklicher und schriftlich festgesetzter Einwilligung des Betroffenen möglich. Wer diese Form der automatischen Vertretung ausschließen möchte, kann dies mithilfe einer entsprechenden Vorsorgevollmacht sicherstellen.
Die Gesetzesänderungen, die zum 1. Januar in Kraft treten, sollen Betroffenen also künftig ein deutlich höheres Maß an Selbstbestimmung auch in einem schweren Krankheits- oder Pflegefall garantieren. Dennoch: wir von der LAUREUS AG PRIVANT FINANZ raten unseren Kundinnen und Kunden, sich frühzeitig mit den Themen Notfallvorsorge und Vermögensnachfolge auseinanderzusetzen und wichtige Weichenstellungen frühestmöglich zu stellen.
Denn schwere Schicksalsschläge können jederzeit jeden treffen. Wer soll im Notfall die Vollmachten über meine Bankkonten erhalten, wer bekommt das Sorgerecht für mein minderjähriges Kind, welche medizinischen Maßnahmen sind gewünscht, was soll mit meinem Vermögen geschehen? Solche und andere Fragen können sich im Unglücksfall stellen. Unter Umständen ist es dann schon zu spät, Entscheidungen noch gemäß den eigenen Wünschen und im Interesse seiner Liebsten zu treffen. Auch um den Angehörigen weitere belastende Entscheidungen zu ersparen, macht es Sinn, frühzeitig für Klarheit zu sorgen. Die Expertinnen und Experten der LAUREUS AG PRIVAT FINANZ stehen Ihnen daher bei Fragen rund um die Notfallvorsorge und das Thema Vermögensnachfolge gerne beratend zur Seite.
Michaela Moll
Leiterin Marktdirektion SÜD
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